Das Dilemma der Mohammed-Karikaturen – ein Pflichtthema an deutschen Schulen

Ein Aufruf von Tarek Badawia und Markus Tiedemann

In großer Sorge um die wechselseitige Achtung von Meinungs- und Religionsfreiheit fordern die Unterzeichnenden, die sogenannten Mohammed-Karikaturen an allen deutschen Schulen pluralitäts- und religionssensibel zu thematisieren. Methodisch bedeutet dies u.a., dass die Betrachtung der Karikaturen optional, der gewaltfreie Diskurs im Zeichen der Anerkennung hingegen obligatorisch ist.

Das Dilemma der Mohammed-Karikaturen – ein Pflichtthema an deutschen Schulen
Dabei fühlen sich die Unterzeichner der sensiblen und verantwortungsvollen Abwägung
verschiedener Kulturgüter ebenso verpflichtet wie der kategorischen Ablehnung jeglicher Art
der Einschüchterung, Bedrohung und Diffamierung von Lehrkräften.

Die Forderung beruht auf den folgenden Überzeugungen:

  1. Meinungs- und Religionsfreiheit sind zwei Seiten einer Medaille. Wer die eine Seite missachtet, zerstört sogleich die Grundlage der anderen.
  2. Kritik ist ein Grundrecht, Pietät eine Tugend. Schule steht vor der Aufgabe, ein Bewusstsein für beides zu schaffen.
  3. Konflikte der multikulturellen Gesellschaft können nur im zivilen Diskurs überwunden werden, der auf gegenseitiger Achtung und Anerkennung basiert. Dies findet im Lichte des friedlichen Miteinanders als ein hohes Gut einer humanen Gesellschaft statt.
  4. Einschüchterung, Drohung und Gewalt sind aufs Schärfste zu verurteilen und in keiner Weise zu dulden. Gewalt diskreditiert sich selbst.
  5. In einem subjekt- und lebensweltorientierten Unterricht muss pluralitäts- und religionssensibel thematisiert werden, was in der Gesellschaft umstritten ist. Gleichzeitig dient der Unterricht als „safe space“ der sachlichen Auseinandersetzung, und nicht als Schauplatz ideologischer Konfrontation.
  6. In einer weltoffenen, religiös und weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft wird der gewaltfreie Diskurs von Toleranz, Achtung und Anerkennung der Diversität von Wertvorstellungen und Lebensentwürfen im Rahmen der für alle geltenden Rechtsordnung getragen. In diesem Rahmen darf es nicht den geringsten Platz für Selbstjustiz geben.
  7. Um mögliche Überforderung der Lehrkräfte zu vermeiden, wäre die Thematisierung des Dilemmas der Karikaturen in einem interdisziplinären oder interreligiösen Lernumfeld empfehlenswert.
  8. Gegenseitige Anerkennung basiert sowohl auf der Wahrnehmung persönlicher Empfindungen oder Überzeugungen, als auch auf den reziproken und gleichen Freiheitsrechten für alle.

Die genannten Punkte erheben nicht den Anspruch, allen politischen, theologischen und
fachdidaktischen Ebenen des Themas gerecht zu werden. Vielmehr geht es darum, einen
Rahmen für nachfolgende Debatten zu umreißen.

Initiiert von
Tarek Badawia (Professor für Islamische Religionspädagogik/Religionslehre) und Markus
Tiedemann (Professur für Didaktik der Philosophie und für Ethik)

Auswahl der ersten Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:
· Dr. Dietmar Bartsch, MdB
· Cem Özdemir, MdB
· Gabriele Triebel, MdL, Abgeordnete im Bayerischen Landtag, BÜNDNIS 90/Die Grünen
· Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher (Praktische Philosophie, Universität Düsseldorf, u.a. Mitglied der Leopoldina)
· Prof. Dr. Bettina Bussmann (Didaktik der Philosophie, Universität Salzburg, Leiterin des Forums für Didaktik der
Philosophie und Ethik)
· Prof. Dr. Ekkehard Martens (Didaktik der Philosophie, Universität Hamburg)
· Prof. Dr. Reinhard Merkel (Rechtsphilosophie, Universität Hamburg ehemaliges Mitglied des Deutschen
Ethikrates)
· Prof. Dr. Thomas Rentsch (Theoretische Philosophie, Technische Universität Dresden)
· Prof. Dr. Gerhard Schönrich (Theoretische Philosophie, Technische Universität Dresden)
· PD Dr. Karin Schnebel (Gesellschaftswiss. Institut München für Zukunftsfragen e.V.)

· Marco Schepers (Bundesvorsitzender des Fachverbandes Philosophie)
· Klaus Draken (Stellvertretender Bundesvorsitzender des Fachverbandes Philosophie)
· Dankfried Gabriel (Bundesvorsitzender des Fachverbands Ethik)
· Margret Iversen (Vorsitzende des Fachverbands Ethik Berlin)
· Ole Kazich (Vorsitzender des Fachverbands Ethik Baden-Württemberg)
· Klaus Draken (Ehemaliger Vorsitzender des Fachverbands Ethik Baden-Württemberg)
· Dr. Rainer Ochslen (Ev. Kirchenrat, Bayern)
· Cahit Başar (Kurdische Gemeinschaft in Deutschland e.V.)
· Ali Ertan Toprak
· Seyran Ateş (Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee)
· Dr. Dr. h.c. Michael Schmidt-Salomon (Bundesvorstand Giordano-Bruno-Stiftung)
· Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV (Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V.)
· Ahmad Mansour
· Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (Leiter des Zentrums für Islamische Theologie,
Professor für Islamische Religionspädagogik)
· Prof. Dr. Bekim Agai (Professor für Kultur und Gesellschaft des Islam in Geschichte und Gegenwart)
· Dr. Musa Bagrac (Gymnasiallehrer, u.a. Islam)
· Dr. Mark Chalîl Bodenstein (Islam. Studien, Universität Frankfurt am Main)
· Dr. Abdelaali El-maghraoui (Islam. Theologie, Universität Tübingen)
· Prof. Dr. Maha El-Kaisy-Friemuth (Islam. Studien, Universität Erlangen)
· Prof. Dr. Claudia Gärtner (Ev. Praktische Theologie, TU Dortmund)
· Selcen Güzel, M.A. (Islamlehrkraft, Forschungs- und Koordinierungsstelle Interreligiöse Bildung (FIB), Uni
Augsburg)
· Dr. phil.  Ulvi Karagedik (Islamische Theologie und Religionspädagogik, PH Karlsruhe)
· V.Prof. Dr. Martin Kellner (Islam. Theologie)
· Dr. Soumaya Louhichi-Güzel (Islam. Studien)
· Dr. Rabeya Müller (Islam. Religionspädagogin, Institut für Islamische Didaktik)
· Prof. Dr. Elisabeth Naurath (Ev. Religionspädagogik, Universität Augsburg)
· Prof. Manfred Pirner (Ev. Religionspädagogik, Universität Erlangen-Nürnberg)
· Kadir Sanci M.A. (Islamwiss., Universität Potsdam und Imam)
· Prof. Dr. Riem Spielhauß (Islamwiss., Uni Göttingen) 
· Prof. Dr. Aysun Yasar (Islam. Theologie, DIRS-Beirat)
· JProf. Dr. Jameleddine BEN ABDELJELIL (Islam. Theologie/Religionspädagogik, PH Ludwigsburg)
· Dr. Werner Haußmann (Didaktik des Evang. Religionsunterrichts, Universität Erlangen-Nürnberg)

Digitale Unterschriften sind erwünscht unter: http://chng.it/CDb7f6b9

Mit folgender Email wandte sich Markus Tiedemann am 28. November 2020 an den Fachverband Ethik:

Sehr geehrter Kolleginnen und Kollegen,
tief betroffen durch das unfassbare Schicksal des Lehrers Samuel Paty
und dessen fatale Signalwirkung auf die Freiheit der Bildung, haben der
Kollege Badawia und ich den angehängten Aufruf formuliert.
In der Tatsache, dass hier ein Islamwissenschaftler und ein säkularer
Philosoph gemeinsam die Thematisierung der Mohammed-Karikaturen an allen
deutschen Schulen fordern, sehen wir eine große Chance. Der gemeinsame
Aufruf war mir wertvoll genug, um bei mehreren Formulierungen
nachzugeben. Beispielsweise handelt es sich natürlich nicht um Dilemma
im strengen Sinn des Wortes. Für Kollegen Badawia waren diese
Formulierungen indes unverzichtbar. Heute bin ich froh nachgegeben zu
haben, da mir die gemeinsame Aktion notwendig erscheint.
Der Aufruf wird in der kommenden Wochen in der Wochenzeitung DIE ZEIT
veröffentlicht. Um die Außenwirkung zu verstärken, bitten Herr
Badawia und ich namhafte Kolleginnen und Kollegen darum, den Aufruf zu
unterzeichnen.
Ihre Stimme wäre uns in dieser Angelegenheit besonders wichtig.
Ich bitte Sie daher um eine kurze Mitteilung, ob auch Ihr Name unter
den Aufruf gesetzt werden darf.
Auch persönlich wäre es mir eine große Freude.
Allerdings müssen wir schon am kommenden Montag die Namensliste
einreichen. So Sie in der ZEIT unterschreiben wollen, bitte ich daher um
eine Rückmeldung bis Montag.
Sodann existiert zusätzlich die Möglichkeit digital zu unterschreiben
unter: http://chng.it/CDb7f6b9
Mit freundlichen Grüßen
Markus Tiedemann

Prof. Dr. Markus Tiedemann
Professur für Philosophiedidaktik und für Ethik
Technische Universität Dresden
Institut für Philosophie